Gregor A. Mayrhofer

2022 Weltliches Oratorium inspiriert durch die Umweltenzyklika »Laudato si'«

Wir sind Erde

"We are Earth" - Secular oratorio inspired by the environmental encyclical »Laudato si'«
for 4 soloists, choir and large orchestra

Commissioned work for the Foundation for Cultural Renewal

World Premiere: 13th of November 2022
Berlin Philharmonic
Gregor A. Mayrhofer, direction

Libretto
Prof. Dr. Markus Vogt talking with the composer

Dramaturgy and text collaboration
Juliane Hendes, Matthias Fuchs

Further textual collaboration
Felicitas Magdalena Pfaus, Elisabeth Mayrhofer

Singer cast
High Soprano (Humanist)
Alto (theist)
High Light Tenor (Dataist)
Deep Bass (Skepticist)

Choir SATB

Orchestral cast
3 flutes (2nd also piccolo, 3rd also piccolo and bass flute)
2 oboes
English horn
3 clarinets in Bb and A (2nd also Eb clarinet, 3rd also bass clarinet in Bb)
3 bassoons (3rd also contrabassoon)

4 horns in F (1, 2 high; 3, 4 low; all 4 require mutes)
3 trumpets in Bb (1st optional for some passages piccolo trumpet; all 3 tp. need straight mute, whawha mute, harmon mute)
2 trombones
Bass trombone (all 3 pos. need straight mute, whawha mute, harmon mute, practice mute)
tuba (needs mute)

4 timpani
3 percussionists
celesta
harp

String Orchestra (14/12/10/8/6)

Links and downloads

Video Wir sind Erde - Orchester des Wandels (Staatskapelle Berlin)

Gregor A. Mayrhofer zu „Wir sind Erde“

Wie klingen Umweltkatastrophe und Klimaschutz? Die für mich zentrale Frage für ein Oratorium des 21. Jahrhunderts ist: Was kann Kunst leisten im Angesicht unserer Krisen? Wie könnte die Musik eine neue Tür öffnen und die Situation unserer Zeit hörbar machen?

Zu Beginn stellt der Skeptizist existenzielle Fragen, aus denen allmählich das zentrale musikalische Motiv entsteht: Wie im Wachstumsstreben der Natur spalten sich die ersten Töne auf und werden zu musikalischen Tropfen. Anfangs kaum wahrnehmbar, scheinbar unbedeutend, steuert doch jeder Sänger seinen Anteil zu der eskalierenden Klangflut bei. Die zu Beginn langsamen Tonaufspaltungen überlagern sich zu einer unendlichen Modulation, die unaufhörlich beschleunigt aber nie ankommt. Die Menschen sind verloren im rasenden Stillstand.

Der 2. Satz formuliert Lösungsvorschläge: Der Dataist sieht in der momentanen Situation keine Katastrophe, sondern lediglich vorhersehbare Prozesse. Fixiert auf das faktisch Messbare zählt für ihn nur Wissen und Verstehen ohne Bewertung von gut und böse. Seine Vision: Die Natur unseren Bedürfnissen anzupassen durch technische Innovation und absolute Beherrschung des Raums. So konstatiert er: Scientia potestas est — Wissen ist Macht.

Die Theistin lenkt den Blick nach Innen auf Fühlen und Wahrnehmen. Eingebettet in Naturlaute, formuliert sie den zentralen Satz: Wir sind Erde. Aus ihrer spirituellen Sicht hat alles eine Seele, die es zu schützen gilt und die sich nicht materialistisch beschreiben lässt. Im Laudato si’ preist sie Gott voll Hoffnung, dass wir durch Achtsamkeit und Demut zur Erlösung finden.

Die Humanistin hingegen proklamiert mit einer stürmischen Musik die Ideale von Moral, Gerechtigkeit und Verantwortung mit der goldenen Regel der Aufklärung: Quod tibi, hoc alteri (verhalte dich so, wie du es von anderen erwartest).

Diese scheinbar einfachen Lösungen werden von den bohrenden und unbeirrbaren Fragen des Skeptizisten Ton für Ton demontiert. In einer unaufhaltsam in die Tiefe schreitenden Passacaglia zerfrisst seine Skepsis die idealisierten Ziele und endet in düsterer Ratlosigkeit über unsere Haltung. Wir vergessen: Wir sind Erde.

Vor den unlösbar scheinenden Fragen fliehend, stützen sich die Menschen hoffnungsvoll auf den Lobpreis der Natur - den Sonnengesang. Während die Theistin betont, wie gut alles in der Schöpfung sei, mischt sich wieder das Beschleunigungsmotiv ein. Doch je deutlicher sich die nahende Katastrophe abzeichnet, umso mehr verhärten sich alle auf ihre eigene Sicht und verkeilen sich in einem Fugato ihrer Kernsätze. Der Skeptizist versucht in einem vergeblichen Aufschrei die Menschen wachzurütteln, doch sie sind festgefahren in ihren wirkungslosen Glaubenssätzen. Der rasende Stillstand überrollt alles.

Im pantomimischen Bild einer rasenden Stille entlarvt er unsere wirkungslosen Worte. In eine zweite düster depressive Stille stellt der Chor die existenziellen Fragen nach Verantwortung und Sinn angesichts der unauflösbaren Gegensätze in uns Menschen. Erst die dritte und erstmals echte Stille lässt Raum für jeden in sich selbst hinein zu hören.

Nur ganz allmählich findet der 4. Satz Klang und Sprache wieder. Die Protagonisten singen jetzt nicht mehr jeder für sich, sondern übergeben sich die Phrasen. Sie erkennen, dass jeder nur einen Teil der Wahrheit in sich trägt und auf das Zusammenwirken der verschiedenen Sichtweisen angewiesen ist. In veränderter Form kehrt das Naturbild der Tropfen wieder: Die Hoffnung, auf die wir uns stützen, ist nur ein trockenes Samenkorn. Es braucht uns Menschentropfen um es zum Leben zu erwecken - Wichtiger als die Idee, ist die Wirklichkeit.

Kann Kunst Sinn stiften und Sinneswandel bewirken?

Nur dann, wenn wir die vielen Stimmen zusammenführen und daraus Bereitschaft zu konkreter Veränderung entsteht. Mit dem mahnenden Klang der tropfenden Zeit, mit dem das Stück begann, entlässt es uns, mit der Verantwortung aber auch der Hoffnung, die wir nirgendwo sonst finden als in uns selbst.